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Interview mit Maria Augustin - Teil 2

Maria Augustin, Flötistin in den Bereichen Klassik und Popularmusik sowie Sängerin, Komponistin und Instrumentalpädagogin. Sie konzertiert(e) mit Kitsch′n&Glory, Triu, Studio Dan, Wolfgang Puschnig & Vienna Flautists, Folklabor, Jazzwerkstatt Wien u.v.a.m. im In- und Ausland. Als Komponistin schreibt sie u. a. Musik für junge FlötistInnen, weiters ist sie Autorin der Schule für Jazzflöte „Fit for the Band". Maria Augustin wird gerne als Referentin für Improvisationsflötenworkshops und Gesangsseminare eingeladen, so u. a. von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der Hochschule für Musik Würzburg und der Audem Montevideo. Seit 2004 ist sie als Pädagogin an der J. S. Bach Musikschule Wien tätig. Ihr klassisches Querflötenstudium absolvierte sie an der Musikuniversität Wien bei Prof. Barbara Gisler-Haase und ergänzte dieses mit dem Schwerpunktstudium Popularmusik. Die musikalische Weiterentwicklung fokusierte sie in unterschiedliche Richtungen wie Jazz, Pop, elektronische Musik und zeitgenössische Musik. Seit April 2011 spielt Maria Augustin auf einer Linksquerflöte. Das Interview führte Franziska Dreisiebner.zurück zu Interview Teil 1


Franziska Dreisiebner: Kommen wir nun zum eigentlichen Thema, nämlich zum linkshändig musizieren. Du spielst ja Querflöte. Wie lange schon, bzw. spielst du andere Instrumente auch ?

Maria Augustin: Querflöte spiel ich seit meinem 8. Lebensjahr, das heißt seit 24 Jahren. Dann „Schrummel-Gitarre" zum Mitsingen, und ein wenig Klavier, das hab ich für das Studium gebraucht. Das war aber ein Horror für mich, da habe ich nichts zusammengebracht.

F.D.: Wodurch ist dir aufgefallen, dass für dein Wohlbefinden es ebenso notwendig ist, dein Instrument, also die Querflöte, links zu spielen?

M.A.: Mir ist relativ früh aufgefallen, dass mein Stand beim Querflöte spielen verdreht ist und dass die Atmung nicht so gut funktioniert. Man geht nach links unten in die Knie und ich fühlte dabei keinen guten Stand zu haben und war nicht optimal geerdet. Als ich draufgekommen bin, dass ich eine Umgeschulte bin, dachte mir aber: „Gott sei Dank bin ich keine Gitarristin oder Streicherin, weil dann wäre mir sofort klar gewesen, dass ich das Instrument umdrehen müsste. Bei diesen Instrumenten machen ja beide Hände total unterschiedliche Tätigkeiten. Beim Querflöte spielen machen beide Hände und alle Finger quasi gleiche Bewegungen. Daher dachte ich mir, am Instrument betrifft mich die Umschulung nicht und war sehr froh, dass ich nichts verändern musste. Dann habe ich ein Schlüsselerlebnis gehabt, da hab ich mit den Kindern „Dirigenten raten" gespielt, wo ein Kind ein Instrument" in der Luft vorspielt", und die anderen dieses nachmachen. Beim „beim Klarinette spielen" bemerkte ich, dass meine Hände genau die umgekehrte Position als üblich einnahmen, nämlich die linke Hand unten und die rechte Hand oben. Und das nach 24 Jahren Querflöte spielen in genau umgekehrter Haltung! Beim wiederholten Nachspüren wurde mir klar, dass es diese Haltung sein muss! Umgekehrt fühlt es sich einfach nicht gut an. Mein damaliger Wissensstand war, dass es keine Querflöte für Linkshänder_innen gibt. Bei meinem Instrumentenbauer wäre eine solche Sonderanfertigung viel zu aufwendig und auch viel zu teuer gewesen. Darauffolgend ist mir das Buch „Musizieren mit links" geschenkt worden. Der Autor, Walter Mengler, beschreibt darin alle Schwierigkeiten, die auftreten können, wenn man als Linkshänder ein rechtshändiges Musikinstrument spielt. Er geht in Folge auch auf die einzelnen Instrumente spezifisch ein, also auch auf die Querflöte. Als ich dabei erfuhr, dass in Finnland ein Instrumentenbauer schon eine linkshändige Querflöte hergestellt hatte, ist mir ganz heiß geworden und ich wurde total aufgeregt. Ich hab mir mit geschlossenen Augen vorgestellt, wie das wäre, wenn ich auf der Bühne steh und die Querflöte nach links spielen würde. Das hat sich so toll angefühlt, dass ich sofort zum PC gestürmt bin, und Walter Mengler angeschrieben habe, mir die Kontaktdaten von diesem Instrumentenbauer in Finnland zu geben. Ich bestellte dann die Querflöte und 3 Monate später holte ich diese persönlich in Helsinki ab.

F.D.: Wie lange schulst du dich nun auf die linkshändige Querflöte schon um?

M.A.: Seit eineinhalb Jahren.

F.D.: Wie geht es dir nun beim Umlernen?

M.A.: Jetzt geht es mir schon sehr gut! Also, das war total spannend. Ich war natürlich zu Beginn die volle Anfängerin, da jeder Griff seitenverkehrt ist. Zum Beispiel beim rechtshändigen Instrument hat der linke Daumen eine Klappe und der rechte Daumen nicht. Nun musste der rechte Daumen erstmals eine Klappe bedienen. Der linke Daumen stabilisiert nur mehr die Flöte. Folglich sind auf allen möglichen Ebenen beim Rückschulen Dinge passiert. Interessant war, ich hab bezüglich der Griffe nicht wirklich umdenken müssen. Im Prinzip war es von Anfang an so, dass, wenn ich eine Note sah, ich sofort wusste, wie man sie greifen muss. Das Problem war nur, die Finger sind sehr langsam gewesen.

Die Balance war auch irrsinnig schwierig zu halten. Den Punkt zu finden wie die Flöte gut liegt, und hat sehr viel Zeit benötigt, also, - ca. ein halbes Jahr. Und die Finger beim Dreiklangspielen, oder beim Spielen der Tonleitern, wo′s mit rechts einfach rrrrrrrrrrrrrr, rrrrrrrrrrrrrrr, geht, ist mit links noch nicht so automatisiert.

Aber interessant ist auch, es gelingen mir viele Dinge, die ich mit links noch gar nicht wirklich geübt habe. Die Finger „lernen" irrsinnig schnell dazu. Es ist kein stetiges besser und schneller werden, sondern alles passiert in Sprüngen. Quasi Sieben-Meilen-Stiefel.

Der Atemfluss war auch sofort viel besser und das Musizieren hat sich in diesem Zusammenhang viel schöner angefühlt. Ich brauche viel weniger Denkschritte beim links spielen. Beim rechts spielen hab ich viel mehr nachdenken müssen. Zum Beispiel stellte ich mir vor wie die Melodielinie klingen sollte, und das habe ich dann auf der Flöte umgesetzt. Jetzt denk ich nicht mehr darüber nach wie die Melodie klingen soll, sondern ich spiel sie einfach. Was mir ebenso aufgefallen ist, ich muss nicht mehr so am Notenständer „picken". Ich war immer sehr knapp am Notenständer, um zu gewährleisten, dass ich die Noten gut sehe und mich nicht verspiele. Beim links Spielen, fiel mir irgendwann auf, dass ich mindestens einen halben Meter vom Notenständer entfernt stehe und dabei total entspannt auf die Noten schaue. Auch wenn das Stück schwierig zu spielen ist, der Blick ist total relaxed.

Ich war auch nie wirklich gut beim „vom Blattl lesen". Das war immer ein einziger Stress für mich. Auch das hat sich gebessert. Mir kommt einfach vor, ich hab jetzt viel mehr „Rechenleistung" im Hirn frei.

F.D.: Das ist ja alles sehr spannend. Der von dir schon erwähnte Walter Mengler ist ja im deutschsprachigen Raum der Experte schlechthin für das Thema „linkshändig musizieren". Dieser spricht von 3 Bereichen, wo die dominante Hand der anderen überlegen ist und dadurch zu einem besseren und persönlich zufriedenstellenderen Ergebnis führt. Und zwar: beim Krafteinsatz, bei der manuellen Geschicklichkeit und beim Gefühlsausdruck, wenn dieser überzeugend sein soll. Was sind da deine konkreten Erfahrungen dazu?

M.A.: Das ist ein bisschen schwierig für mich, da das vor allem die Streicher und die Gitarristen betrifft. Den persönliche Ausdruck und den Krafteinsatz bezieht er hauptsächlich auf die Bogenführung. Emotionen gehen ja zuerst immer in die dominante Hand. Man braucht nur ans Gestikulieren zu denken. Wenn ein Linkshänder zum Beispiel auf einem rechtshändigen Cello spielt, ergibt sich folgende Problematik: Will er oder sie besonders ausdrucksvoll spielen, dann ist der erste Reflex, dass die linke Hand stärker zudrückt. Die ist aber am Griffbrett und so bringt das nicht wirklich was, sondern es behindert nur. Das Vibrato gelingt nicht mehr so gut und man kann schwierige Läufe (schnelle Abfolge vieler Töne) auch nicht so schnell spielen, weil man das Griffbrett so fest drückt. Wenn man als Linkshänder aber am Linkshänder-Cello spielt, gehen die Emotionen automatisch in die Bogenhand, wo sie sofort aufs Instrument übertragen und hörbar gemacht werden.

F.D.: Ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich dich bei einer Veranstaltung sowohl auf der Linkshänder_innen-Querflöte als auch auf der Rechtshänder_innen-Querflöte beim Spielen beobachten konnte, und da hab ich ganz deutlich wahrgenommen, mit wie viel mehr Power und ganzkörperliche Mimik und Gestik, also Ausdrucksstärke du mit links deine Querflöte spielst.

M.A.: Ja total. Mir ist dabei aufgefallen, wie angenehm es ist als einleitende Geste die linke Körperseite zu öffnen und wie beim Rechtshändig Spielen die linke Seite „ausgeblendet" war. Der linken Seite zugewandt zu sein und das linksseitig Offensein fühlen sich einfach total gut an.

F.D.: Ok. Was er noch nennt ist Krafteinsatz und manuelle Geschicklichkeit.

M.A.: Der Krafteinsatz betrifft mich beim Flötenspielen nicht wirklich, denn ich brauch in dem Sinn auf keiner Hand mehr Kraft.

F.D.: Beim Hochhalten der Flöte?!

M.A.: Ja das stimmt, es betrifft mich doch! Man hält ja, wie du gesagt hast die Flöte in der Luft, und die Hand, die weiter draußen ist, wird stärker belastet. Wenn ich mit rechts gespielt habe, habe ich den rechten Arm immer gespürt. Nämlich das dieser Arm in der Luft ist. Mit links, ganz egal wie viel ich spiele, habe ich noch nie Muskelschmerzen im linken Arm gespürt. Der steht „von alleine" in der Luft.

F.D.: Du nimmst deinen Krafteinsatz also gar nicht wahr. Deswegen meintest du, dieser betrifft dich nicht?!

M.A.: Genau! Das war jetzt sehr interessant für mich. Beim Links Spielen verspür ich lediglich ein Ziehen in der rechten Schulter. Und was beim rechts spielen noch ein Nachteil war, vor allem wenn ich aufgeregt war, drückte die linke Hand fester zu, in dem Fall die, mit dem Daumen auf die Klappe. Und wenn man in der Mitte der Flöte fester zudrückt sind die schnellen Läufe nicht so gut spielbar. Die Finger sind einfach nicht so frei. Wenn ich beim Linksspielen Stress habe, passiert mir das gar nicht, da die Emotion ja nicht in die rechte Hand, wo die Klappe mit dem Daumen zu bedienen ist, geht, sondern wie es sein soll, in die linke.

F.D.: Den 3. Bereich, den er nennt, ist die manuelle Geschicklichkeit, aber das hast du jetzt eh schon mitbeantwortet.

M.A.: Ah, was mir noch aufgefallen ist, ich glaub, dass die Reihenfolge viel logischer mit links ist. Zum Beispiel bei einer Blockflöte; von unten nach oben wird es mit jedem Finger um einen Ton höher. Und ich empfinde es einfach als logischer, dass sich die linken Finger zuerst öffnen und dann erst die rechten. Sehr spannend und interessant ist auch, dass ich mit links ohne Notenblatt spielen kann. Das hab ich mit rechts nur unter extremer Anspannung geschafft. Es war der Horror schlechthin bei einem Wettbewerb auswendig vorzuspielen. Hab mir halt viele Eselsbrücken bilden müssen, um mir das Stück zu merken. Im vergangenen Februar gab ich mit links mit einer Freundin das erste klassische Konzert. Dafür hab ich 2 Sätze von einer Bach-Sonate auswendig gelernt. Das lustige war, ich wollte bei der Vorbereitung einfach nur vor dem Spiegel meine Haltung beobachten und hab beim Probieren bemerkt, dass ich mir viele Stellen schon gemerkt hatte. Es ist jetzt einfach logisch wie und wohin die Finger „springen". Da bin ich sehr gespannt, wie sich das noch weiterentwickeln wird, da das Spielen ohne Notenblatt, das locker Auswendigspielen, einfach total schön ist. Ich kannte das früher nicht. Deswegen bin ich wohl bereits während des Studiums in die Improvisation ausgewichen. Damals hatte ich das Gefühl die Klassik ist mir zu „eng". Rückblickend muss ich sagen, das stimmt nicht. Ich liebe die Klassik! Aber ich hab es einfach nicht „daspüt". Ich hab einfach keine Chance gehabt mit der Konkurrenz mitzuziehen. Wenn ich nicht in die Improvisation ausgewichen wäre, hätte es für mich keinen Weg gegeben weiter Querflöte zu spielen!

F.D.: Hoch interessant, das Ganze. Du bist ja als Instrumental-Lehrerin für Querflöte tätig. Wie ist deine Erfahrung mit linkshändigen Kindern, die auf Rechtshänder_innen-Instrumenten spielen, spielen müssen?

M.A.: Ich hatte vorvoriges Schuljahr zwei Anfänger, 6 und 8 Jahre alt, beides linkshändige Kinder, und bei Beobachtung war es sofort klar, dass die rechte Seite für sie nicht optimal ist. Am Anfang spielt man nur mit dem Mundstück und versucht Töne zu erzeugen. Beide sind nach einer Woche gekommen, und hatten dieses Kopfstück nicht in der rechten Hand, sondern in der linken Hand. Ebenfalls beobachtete ich die Probleme mit dem Stand, die ich von mir schon erzählt habe. Sie versuchten immer mit vorgestelltem rechten Bein zu stehen, was aber zu einer völligen Verdrehung in der Körpermitte führt.

F.D.: Das heißt die lernen alle mit einer Rechtshänder_innen-Querflöte?!

M.A.: Ja. Anfänger-Kinder-Querflöten für Linkshänder_innen gibt’s nämlich erst seit ein paar Monaten. Die Querflöte ist nämlich zu lang für ein Kind und somit kommen sie zum äußeren Ende nicht hin. Deshalb gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann das Rohr vorne quasi umbiegen, oder es gibt jetzt noch eine geeignetere Flöte, die hat in der Mitte eine Omegaform , die nach unten zeigt, wodurch ebenfalls eine Verkürzung erreicht ist. Diese Omegaflöte gibt es leider nicht für Linkshänder_innen. Die mit dem gebogenen Mundstück gibt es eben seit Kurzem.

F.D.: Wie lange unterrichtest du schon?

M.A.: Seit 8 Jahren.

F.D.: Und wie hast du das ausgehalten, wenn linkshändige oder umgeschulte linkshändige Kinder mit der Rechtshänder-Anfänger- Querflöte spielen mussten?

M.A.: Naja, damals wusste ich über die Auswirkungen noch nicht Bescheid. Ich kenne die Problematik ja selbst erst seit Oktober 2010. Das Glück war, dass ich voriges Schuljahr im Jänner selbst begonnen habe mit links zu spielen. Dann hab ich einen neuen Schüler im Herbst bekommen, der eindeutig Rechtshänder war. Da war ich sehr beruhigt, da es erstens zu dieser Zeit ja noch keine Anfängerflöte für Linkshänder gegeben hatte und zweitens ich mich in meiner eigenen Experimentierphase befand. Ich war froh mich dieser Problematik in der Musikschule noch nicht stellen zu müssen. Für das kommende Schuljahr muss ich mir etwas vorbereitend überlegen. Ich hoffe, dass die Instrumentenbauer mitziehen, und dass es diese für Kinder optimale Omegaflöte auch bald für Linkshänder gibt. Die linkshändigen Kinder, die in Zukunft bei mir beginnen werden, die hätten natürlich einen Nachteil, wenn sie nur das Instrument mit dem gebogenen Mundstück zur Verfügung hätten, da es damit vor allem schwieriger ist die Balance zu halten. Natürlich werde ich die Eltern der Kinder dahingehend beraten, dass es für Linkshänder trotzdem um Klassen besser ist mit dem gebogenen Mundstück-Instrument zu lernen, als mit der falschen Seite zu spielen.

F.D.: Gibt es diese in Österreich?

M.A.: Die kann man sich bestellen, ja. „Viento" heißt die Firma.

F.D.: Und wie siehst du als Musikpädagogin allgemein die derzeitige Situation der linkshändigen Musikschüler_innen speziell in Österreich?

M.A.: Ich habe jetzt keine Daten oder so, wie viele linkshändige Kinder ihrer Händigkeit entsprechend unterrichtet werden. Ich sag einmal, das Ganze ist erst in den Babyschuhen. Auch an meiner Musikschule gibt es einige Lehrer_innen, die das Thema total ablehnen, was sehr schade ist. Bis jetzt hat sich nur die Linksgitarre ein bisschen etablieren können.

F.D.: Auch in Österreich?

M.A.: Ja, zum Teil auch in Österreich. Bei der Gitarre, da stellt sich ja auch die Orchesterfrage nicht. Also dürfte es ja gar keine Diskussion mehr geben und es klar sein, dass Linkshänder_innen links spielen. Aber trotzdem wehren sich auch hier noch sehr viele Kollegen dagegen. Erst kürzlich hörte ich folgendes Argument: „Wie schaut denn das in meinem Gitarrenensemble aus, wenn da wer in die andere Richtung spielt!"

Ein furchtbares Argument: denn das Wohlbefinden eines Kindes muss doch höher bewertet werden als die Optik, oder?!! Außerdem finde ich, dass das total schön aussieht wenn nicht alles in die gleiche Richtung geht!

F.D.: Das ist dasselbe Problem, wie bei den Orchestern?!

M.A.: Ja genau. Ob und wieviel linksspielende Streicher_innen es schon gibt weiß ich nicht, aber mir sind noch keine linkshändig spielenden Schüler_innen oder dafür aufgeschlossene Pädagogen untergekommen. Walter Mengler hat in Deutschland beim kürzlich stattgefundenen Seminar erzählt, dass es bereits zwischen 300 und 500 linkshändige Schülerinnen auf Linkshänder-Streichinstrumenten in Deutschland gibt. In den skandinavischen Ländern gibt es noch mehr. Die sind wieder einmal Vorreiter.

F.D.: Glaubst du, dass es so wenig linkshändige Streicher_innen in Österreich gibt, da zu wenig Instrumente verfügbar sind?

M.A.: Nein. Es gibt ja schon Instrumente und übers Internet kann man sie auch bestellen. Wenn die Nachfrage da groß genug ist, ziehen die Händler mit. Aber es ist einfach noch nicht so im Bewusstsein, das ein rechtshändiges Instrument für einen linkshändigen Menschen vom Nachteil ist. Es kommt immer sofort der Einwand, naja, wenn ich mit meiner dominanten Hand das Griffbrett spiele, dann kann ich ja viel schneller darauf „herumfetzten". Wahrscheinlich wenn man nur einseitig einen Blick drauf wirft, wird diese vermeintlich logische Schlussfolgerung gezogen. Aber, diese ist einfach falsch! Weil eben wichtig ist mit welcher Hand der Ton erzeugt wird. Walter Mengler hat das so schön beschrieben, dass es um den Charakter der Hände dabei geht. Man darf auch die nicht dominante Hand nicht irgendwie stiefmütterlich behandeln, weil diese hat eine genauso wichtige Aufgabe beim Musizieren, wie die dominante. Er beschreibt es so: die nicht dominante Hand muss alles vorbereiten. Z.B. ein Steinzeitmensch der eine Frucht aufhebt, greift sie an und legt sie hin, dann zerteilt er sie mit dem Messer. Er wird also, wenn er Linkshänder ist, mit rechts aufheben, testen und hinlegen, bzw. stabilisieren und die linke Hand führt die Aktion dann aus, die gefährliche Aktion in diesem Fall. Dasselbe passiert zum Beispiel auch beim Einschlagen eines Nagels mit dem Hammer. Das muss halt unter den Pädagog_innen kommuniziert werden. Dann werden immer mehr Menschen ausprobieren und erkennen, dass das eine gute Sache ist. Im Vergleich gibt′s zwar noch sehr wenig Linksspieler_innen, aber es werden immer mehr werden.

Noch etwas interessantes, auf das Walter Mengler bei seinem Seminar aufmerksam gemacht hat: im Spitzenbereich der Klassik sind die Leistungen junger Leute kaum mehr zu toppen. Die spielen zur Aufnahmeprüfung zum Musikstudium ein Programm, das man vor 15 Jahren zur Abschlussprüfung gespielt hat! Über die Jahre wurde der Unterricht durch die verschiedensten Lehr- und Lernmethoden so gut, dass es kaum noch Möglichkeiten gibt ihn effizienter zu gestalten und noch tollere Resultate rauszuholen. Nur das Thema Händigkeit wurde in der ganzen Pädagogik total ausgeklammert! Das ist ein Bereich, bei dem es irrsinnig viel zu holen gäbe!

F.D.: Ich bin mit meinem Interview jetzt eigentlich fertig. Möchtest du noch irgendetwas anmerken, was dir noch wichtig erscheint?

M.A.: Es wäre einfach schön, wenn man so sein und agieren dürfte wie man ist. Dann würden viele Sachen ohne zu überlegen ganz rund rennen. Auch beim Musizieren. Wenn man in eine Klasse hineingeht und sagt, spielt doch alle einmal „Querflöte in der Luft", dann werden so und so viele Kinder nach links bzw. rechts die Querflöte spielen. Und wenn man sagt spielt die Geige, wäre es das Gleiche. Kinder, die aus dem Reflex heraus das Instrument nach links „in der Luft spielen" sollen ein Linkshänder-Musikinstrument spielen, und die nach rechts „spielen" sollen ein Rechtshänder-Instrument spielen. Es gibt hier nichts zu überlegen. Das ist eine ganz logische Angelegenheit. Reflexartig wird ein Instrument so simuliert, wie es optimal zu spielen ist. Nur so ist es richtig und dem muss man einfach nachgeben.

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