Seitenkopf Wissenswertes

Interview mit Maria Augustin - Teil 1

Maria Augustin, Flötistin in den Bereichen Klassik und Popularmusik sowie Sängerin, Komponistin und Instrumentalpädagogin. Sie konzertiert(e) mit Kitsch′n & Glory, Triu, Studio Dan, Wolfgang Puschnig & Vienna Flautists, Folklabor, Jazzwerkstatt Wien u.v.a.m. im In- und Ausland. Als Komponistin schreibt sie u. a. Musik für junge FlötistInnen, weiters ist sie Autorin der Schule für Jazzflöte „Fit for the Band". Maria Augustin wird gerne als Referentin für Improvisationsflötenworkshops und Gesangsseminare eingeladen, so u. a. von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der Hochschule für Musik Würzburg und der Audem Montevideo. Seit 2004 ist sie als Pädagogin an der J. S. Bach Musikschule Wien tätig. Ihr klassisches Querflötenstudium absolvierte sie an der Musikuniversität Wien bei Prof. Barbara Gisler-Haase und ergänzte dieses mit dem Schwerpunktstudium Popularmusik. Die musikalische Weiterentwicklung fokusierte sie in unterschiedliche Richtungen wie Jazz, Pop, elektronische Musik und zeitgenössische Musik. Seit April 2011 spielt Maria Augustin auf einer Linksquerflöte. Das Interview führte Franziska Dreisiebner.


Franziska Dreisiebener: Liebe Maria, du bist so wie ich eine durch freiwillige Anpassung umgeschulte Linkshänderin. Wie bist du denn auf die Fragestellung Händigkeit für dich gekommen?

Maria Augustin: Durch meinen Vater. Als ich 23 Jahre alt war, hat er das Buch „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn" von Frau Dr. J. B. Sattler gelesen und festgestellt, dass er selbst ein umgeschulter Linkshänder ist. Nachdem er überzeugt war, dass auch ich eine Betroffene bin, hat er mir das Buch zugeschickt. Ich hab die ersten 40 Seiten des Buches gelesen, rief daraufhin völlig aufgebracht meinen Vater an und fragte ihn, was das eigentlich soll; das betrifft mich nicht! Warum ich mich denn so aufrege, meinte er. Als ich den meinen Ärger hinterfragte und weiterlas, wurde mir immer klarer, dass dieses Buch genauso über mich geschrieben hätte sein können.

F.D.: Und welche Probleme hattest du damals?

M.A.: Keine natürlich! Vom damaligen Standpunkt aus. Erst rückblickend hab ich meine Probleme erkannt, aufgrund des Buches sind mir diese hauptsächlich klar geworden. Ich hab mit zunehmender Distanz erkannt, warum es mir in gewissen Situationen immer heiß aufstieg, oder warum mein Schriftbild so schlecht war, oder warum ich mich in Situationen so oder so verhalten habe. Das war sehr oft aus einer Bedrängnis heraus und auf einmal wusste ich dann - Wumm! - da kann ich nichts dafür, da auch nicht, und daran bin ich auch nicht schuld … das ist alles „die falsche Hand!" Im Laufe der Rückschulung wurde mir auch immer klarer wo ich unfrei und nicht ich selbst war bzw. noch bin.

F.D.: Hab ich das richtig verstanden – Im Laufe deiner Rückschulung ist dir immer klarer geworden, welche der in diesem Buch beschriebenen Umschulungsfolgen, wie z.B. deine immer weniger schön gewordene Handschrift , auch auf dich zutreffen ?!

M.A.: Genau.

F.D.: Mittlerweile hast du ja deine Rückschulung auf deine linke Schreibhand abgeschlossen. Wie mühsam und langwierig war diese für dich? Bzw. möchte ich noch vorschieben, was hat dich denn letztendlich davon überzeugt die Rückschulung überhaupt zu beginnen?

M.A.: Anfangs hat mich das total getroffen, als ich draufgekommen bin - „Wahhhh! - ich bin Linkshänderin!" Aufgrund dieser Informationen und was es für furchtbare Auswirkungen hat, wenn man immer mit der falschen Hand agiert, habe ich beschlossen:" Keine Sekunde steh ich mehr verkehrt im Leben!" und hab von einem Tag auf den anderen alles umgestellt. Ratz-fatz! Auf der anderen Seite war ich aber auch sehr sorgsam, weil es geht ja dann alles sehr langsam, wie Tomaten schneiden z.B. Das werden quasi meditativen Tätigkeiten, die auch sehr tröstend sind, und man hat auf einmal so viel Zeit. Es spürt sich ganz anders an. Ja, so hab ich das gemacht.

F.D.: Das Schreiben hast du auch von heute auf morgen umgestellt?

M.A.: Genau. Anzumerken ist, dass ich ja in meinem Beruf nicht mit der Hand schreiben muss. Außer in den Hausübungsheften meiner Schüler_innen, wo ich die Wochenhausübungen hineinschreibe. Das hab ich dann auch gleich mit links gemacht. Mein Testfeld sozusagen.

F.D.: Welche positiven Veränderungen hast du noch im Laufe der Zeit wahrgenommen?

M.A.: Ja, sofort hatte ich weniger Stress. Das witzige ist, vor dem Rückschulen erkannte ich ja gar nicht, dass ich ständig Stress hatte, dass ich, sogar wenn ich mit guten Freunden diskutiert hatte, total gestresst war, bzgl. der Gefahr etwas zu vergessen, etc. Und dann kam ich auf einmal drauf, was die Ursache dafür ist, und ich spürte sofort, wie eine Last von mir abfiel. Konkret ist es so gewesen, wenn mir z.B. etwas nicht einfiel, dann versuchte ich das zu kaschieren und durch möglichst geniale Ideen und Ansagen davon abzulenken. Jetzt sag ich einfach laut: "Nein, jetzt weiß ich nicht mehr weiter, habe ich vergessen." Ohne die Angst vor einem „Gesichstverlust". Ich kann es einfach sein lassen. Weiters muss ich nicht mehr alles noch mal kontrollieren: ob ich die Wohnung zugesperrt habe, die Herdplatte noch an ist, etc. Das hat sich ziemlich gelegt. Und ich ärgere mich nicht mehr so, wenn ich einen Fehler mache. Auch das nachträgliche Nachdenken darüber, was ich bei einem Gespräch anders sagen oder nicht sagen hätte sollen, kommt nicht mehr in diesem Ausmaß vor.

F.D.: Du bist mit dir und deinem Sein insgesamt zufriedener und weniger selbstkritisch?

M.A.: Ja, auf jeden Fall.

F.D.: Wie lange hat es dann gedauert, bis du mit deiner Handschrift so zufrieden warst, dass du gemeint hast , so jetzt ist deine Rückschulung abgeschlossen? Hat das lange gedauert?

M.A.: Ich kann mich auf keinen genauen Zeitpunkt mehr erinnern. Es ist so komisch, dass mich das nur mehr so wenig betrifft. Es kommt mir schon so lange her vor, wie wenn diese Phase noch zur Schulzeit gehören würde. Manchmal denke ich schon, dass es vielleicht noch schneller gehen sollte oder so. Aber in den letzten Jahren hab ich eigentlich keine wesentliche Veränderung mehr bemerkt. Die Schrift ist ziemlich fix jetzt.

F.D.: Sie drückt deinen Charakter so aus, dass du damit zufrieden bist ?!

M.A.: Ja - da fällt mir was ein: Als ich noch rechts schrieb, hatte ich immer „Pobleme" mit meiner Unterschrift. Ich hab mir eine Version erübt und musste mich beim Unterschreiben immer zumindest ein wenig konzentrieren, damit sie so wird wie geplant. Ich heirate ja jetzt demnächst und bekomm einen Doppelnamen. Und da hab ich jetzt meine neue Unterschrift geübt. Diesmal natürlich mit links. Ich hab eine ganze Seite vollgeschrieben, und am Ende stellte ich fest, dass eine Unterschrift wie die andere aussah, also alle ident sind. Ohne dass ich mich großartig bemüht und konzentriert hätte. Das hätte ich mit rechts nie geschafft.

weiter zu Interview Teil 2

zurück zu Betroffene erzählen    zurück zu Musizieren mit links
  Start   Über uns   Wissenswertes   Praktisches   Aktivitäten   Verein